erkennung

22.01.2016     Konstanze Reupsch     "Seitensprünge"


Seitensprung

Sprachen lernen
In allen Medien, Seite um Seite, Sender für Sender: Flüchtlingskriese, Herkunftsländer, Bleiberecht, Obergrenze, Abschiebung. Ich möchte heraus aus diesen Diskussionen, zur Seite springen.

Springen - ich springe, ich sprang, ich bin gesprungen.
Es gibt doch so viele schöne Wörter. Lachen zum Beispiel:
ich lache, ich lachte, ich habe gelacht

Die junge Frau hält mir ihr Arbeitsblatt aus dem Deutsch-Kurs unter die Nase:
Singen - ich singe, ich sang, ich habe ...          gesungen hat sie richtig ergänzt.
Dann: liegen - ich liege, ich lag, ich habe ...
Heißt das gelugen oder geliegen?
Ich schüttele den Kopf
Ah, dann: gelogen, ich habe gelogen. Leuchtende Augen.
Ihre zehnjährige Tochter, die neben mir sitzt, kichert.
Du hast gelogen???
Nein, nein, gelegen muss das heißen. Ich zwinkere der Tochter zu und lächle die Mutter an: ich habe gelegen.
Warum heißt das gelegen?
Schulterzucken. Unregelmäßiges Verb? Mehr fällt mir dazu nicht.
Die junge Frau bedankt sich und verschwindet wieder im Nebenzimmer. Ich übe weiter mit der Tochter Malfolgen.
Zwei mal sieben?
Das ist doch leicht: vierzig!
Fast richtig, vierzEHN. Und fünf mal acht?
Sag du, fordert das Mädchen.
Nein, nein, du kannst es ja erst einmal aufschreiben.
Sie schreibt 40 auf das Blatt und dahinter zwei Zeichen, die mir unbekannt sind, die ich nicht interpretieren kann.
Strahlende Kinderaugen: Das ist 40 auf Arabisch!

Als ich das Rechendomino auf den Tisch lege (natürlich mit unseren europäischen Zahlzeichen), quengelt sie.
Ich mache nicht gern Mathematik.
Und welches Fach magst du?
Französisch!
Habt ihr Französisch in der Schule?
Nein, hatten wir in Syrien, hier haben wir Englisch.
Springen müssen sie, immerzu springen, denke ich. Sprachsprünge, Schriftsprünge, Zeichensprünge. Warum tauchen solche Worte nicht in den Medien auf?



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