18.05.2019 Anja Koemstedt "Notizen aus dem Papierkorb"
Zugstillleben : Toilettenfengshui
Stillleben, welch ein Wort. Zerfließt sofort auf der Zunge, meint aber etwas ganz Konkretes: die Darstellung toter oder regloser Gegenstände.
Je nach Art dieser (mindestens) reglosen Gegenstände unterscheidet man folgende Unterarten des Stilllebens, sagt Wikipedia:
Blumen-, Bücher-, Fisch-, Früchte-, Frühstücks-, Jagd-, Küchen-, Markt-, Musikinstrumente-, Vanitas- oder Waffenstillleben.
Waffenstillleben. Dem braven Reichsbürger an die Wohnzimmerwand.
Dann doch lieber den Charme einer Zugtoilette preisen, vielleicht mit einem HAIKU?
Toilettenfengshui
/Wind und Wasser an Zugluft/
gereicht uns zum Glück
Ich lese nach: Die Lehre des Fengshui, chinesisch für Wind und Wasser / ?? / ??
will erreichen: die Harmonisierung des Menschen mit seiner Umgebung.
Die Bahnchefs wollen das augenscheinlich auch, sie sagen: Harmonisieren Sie doch einfach mal mit einer ICE-Toilette, Sie werden staunen, welche Befreiung sich augenblicklich einstellt. Genießen Sie das friedvolle Ambiente des Lokus - dem 2001 ins Leben gerufenen Welttoilettentag sei Dank, der sich die Verbesserung der Verhältnisse an oder in Toiletten (!) auf die Fahnen geschrieben hat.
Die Interieur-Design-Abteilung der Deutschen Bahn hat ihren Teil mit subtil asiatischer Anmutung erledigt, jetzt sind Sie am Zug, im Zug, und lassen es, bitteschön fengshui-anmutig wohlig laufen. Selbst wenn der gerade nicht rollt.
"Die Benutzung des Aborts ist während des Aufenthalts auf Bahnhöfen nicht gestattet", diese Zeiten sind längst vorbei.
Meine Mutter hat die harmonisierenden Zeichen der Zeit noch nicht erkannt - selbst auf langen Zugfahrten weigert sie sich, den Abort, den Ab-Ort, diesen abseitigen Ort zu betreten. Lieber trinkt sie stundenlang nichts. Da läuft aller Häuselzauber ins Leere.
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