04.03.2016 Claudia Breitsprecher "Ausrufe und andere Zeichen"
Was ist denn jetzt mit den Geschichten?
Wo die Kinder herkommen, wollen die Kinder wissen, aber dass die Geschichten da sind, nehmen sie einfach hin, brauchen keinen Klapperstorch dafür. Schlagen die Bücher auf und sehen die Bilder an, lassen sich vorlesen und lesen selbst, später, wenn der Klapperstorch schon fortgeflogen ist aus ihren Köpfen, dem anderen gewichen, dieser Realität, von der die Wissenschaft nicht weiß, ob sie Teilchen ist oder Welle.
... Na, Teilchen ja wohl, jedenfalls wenn man sie anfassen kann. Geiles Teil, sagen die Kinder, wenn sie keine Kinder mehr sind und das neue neueste allerneueste Smartphone haben wollen, geiles Teil und nicht geile Welle. Und dann laden sie sich die Geschichten herunter, am besten für lau, und noch immer fragen sie nicht, wo kommen sie denn her, die Helden und die Lieblinge, die Männer und Frauen und Kobolde, mit denen sie fiebern, die Monster und Geister und Psychopathen. Oder Psychopathinnen, o ja, die gibt es auch.
Jedenfalls lesen sie weiter, blättern um und können ES nicht aus der Hand legen, das Buch. Oder sie wischen auf dem Teil und werden dabei geil, und das kann folgen haben, je nach Konstellation. So lesen sie bald den eigenen Kindern vor, bald den Enkeln, stellen mit den Jahren die Schrift größer und größer und fragen noch immer nicht, wo kommen sie her, die Geschichten.
Buchen eine Flatrate in der Bibliothek oder in diesem Netz, in dem sie sich längst verfangen haben, lesen nur noch Anfänge. Ende ist eh nicht so toll, aufs Ende marschieren sie selber zu, und kurz bevor es so weit ist, liest ihnen hoffentlich wieder jemand vor an ihrem Bett aus einem Buch. Alles andere wird vergessen, nur die Geschichten nicht. Schließlich ist es vorbei und sie legen das geile Teil aus der Hand und werden Welle.
Nehmen die Geschichten mit.
Und niemand weiß, wohin.
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