erkennung

08.04.2017    Claudia Breitsprecher    "Ausrufe und andere Zeichen"


Vielleicht werden eines Tages Roboter(Innen???) das Problem mit den Fusseln lösen, sie mit geschickten stählernen Fingern vom Mantel sammeln oder uns schon vor dem Kauf beraten, in Quantencomputergeschwindigkeit den Fusselindex aus Materialbeschaffenheit und -dichte errechnen.

Warum sagen Wissenschaftler(Innen, ja!!!) eigentlich immer, dass sie Gott spielen, wenn sie an den Humanoiden herumbasteln? In der Regel halten sie doch jeden irgendwie religiös gefärbten Glauben für unvereinbar mit ihrem Selbstverständnis, während sie in der Forschung wetteifern, wer den besten stets verfügbaren Pflegehelfer, die aalglatteste Servicekraft oder die martialischste von Ferne zu steuernde Waffe entwickelt. Das alles klingt gruselig, und doch beflügeln die Neuheiten aus den Laboren meine Fantasie.

Werde ich eines Tages, sollte mir denn das Glück eines langen Lebens beschieden sein, mit dem künstlich-intelligenten Klon meiner längst verstorbenen Lieblingstante Tilla Schach spielen
und mich dabei mit dem allergiekompatiblen Katzenhologramm auf meinem Schoß über den nächsten Zug beraten? Wird währenddessen meine Einkaufssdrohne auf dem Balkon landen und ein James 5.0 die Waren in den Kühlschrank räumen? Oder esse ich gar nicht mehr? Hat man mir nach Fleisch (tierische Fette!), Milchprodukten (Laktose!), Kohlehydraten (hoher glykämischer Index plus Gluten!), Obst (Fruktose!) und Industriezucker (sowieso) das Essen inzwischen ganz verleidet? Prüft stattdessen ein Chip unter der Haut den Nährstoffzustand meines Körpers und übermittelt den Bedarf an einen vollautomatischen Smoothie-Maker in der Hausbar, der mir sofort ein Gebräu mit hoher Bioverfügbarkeit zusammenpüriert?

Weite Ferne. Zukunftsmusik. Aber ich schließe die Augen und denke dreißig Jahre zurück: 1987. An der Uni beraten wir im Frauenplenum, ob wir für unser Büro eine Schreibmaschine anschaffen sollen oder sogar einen dieser Personal Computer plus Disketten (die Geräte mit eingebauter Festplatte sind viel zu teuer). Später, aber vor 18.00 Uhr - Ladenschluss! - hole ich die Urlaubsbilder im Fotofachgeschäft ab und blättere gespannt die Abzüge durch, hier mal was unscharf, da mal ein Kopf nur halb drauf und oben am Rand der eigene Fingernagel ins Bild gerutscht. Dann stelle ich mich am Bankschalter an, um Geld abzuheben.

Ich bin am Zug, aber es sieht schlecht aus, wenn ich die Mimik des Katzenhologramms richtig deute. Die Bauern sind geschlagen, der Turm ist gefallen, der König umzingelt - oder vielleicht ist es auch die Ministerpräsidentin, wenn das mit dem Backlash noch aufzuhalten ist. Die Partie ist jedenfalls verloren. James 5.0 reicht mir den Smoothie. Das Schachspiel räumt sich selber ein. Und Tante Tilla muss dringend an die Steckdose.

zurück zum alphabettínenblog