erkennung

28.12.2018    Maja Linthe    "Bloggen mit Hut"

Zwischen den Jahren
Schuhe

Zwischen den Jahren stockte die Zeit zwischen gestern und morgen wie eine Single auf dreiunddreißig und füllte den Spalt mit Traurigkeit. Nur wer die Zähflüssigkeit der Trauer spürte, war hellsichtig genug, konnte die feinen Fäden erkennen, gesponnen von der Zeit zwischen den Jahren wie zwischen den Lebenden und ihren Toten.

Und am letzten Tag zwischen den Jahren teilten wir einen Baum als unseren Standort auf WhatsApp, bis wir viele waren mit von Trauer geschärftem Blick. Wir schalteten auf Flugmodus, fassten uns wortlos an den Händen und erhoben uns in die Dunkelheit der Luft mit noch leuchtenden Displays in unseren Hosentaschen. Unsere Schuhbänder verhedderten sich in den Ästen des Baumes und wir strampelten uns frei, ließen die Schuhe zurück.

Wir lösten nun auch unsere Haare aus Bändern, unsere Hände voneinander und eine jede flog mit ihrer Trauer für sich. Während ich flog, die Arme aufgespannt, mit Haarsträhnen im Gesicht und einem Rauschen in den Ohren, sah ich einen kurzen Moment lang auch dich, und es war so schön, dich zu sehen. Ich atmete Flugluft und die Traurigkeit drehte sich kurz um, lächelte mir zu über die Schulter.

Pünktlich um Mitternacht landeten wir am Fuße des Baumes. Wir standen auf Socken und wünschten uns Glück. Nacheinander verließen wir die Gruppe, stellten den Flugmodus aus und kehrten zurück zu unseren Freunden mit Schuhen, die Sekt hatten zum Feiern und Feuerwerk. Unsere eigenen schaukelnden Schuhe blieben im Wipfel des Baumes zurück als Zeichen der Verbundenheit mit jenen, die, so wie du, keine Schuhe mehr brauchten.


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