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Ricarda de Haas

Auszug aus:
"Schattenband"

in: Anthologie "as long as. queer storys." Milena Verlag, Wien 2005
unter Pseudonym Ronja Berlin
"Birgit hat mich verlassen. Das ist das, was ich meinen Freundinnen sage. Ich sehe sie an und sage meinen Satz. Und sie nicken. Sie nicken verständnisvoll, liebevoll. Doch ich, ich. Ich muss das leben. Jeden Tag. Es kommt mit, wenn ich auf die Straße gehe. Es schaut beim Zähneputzen zu und trinkt zuerst von meinem Tee. Es ist zwei Igel, und ich. Ich bin der Hase. Der Hase ist dumm und läuft, läuft. Und kann nicht gewinnen. Niemals.
Ich schlafe und kann vergessen. Kurz. Dann kommt der Morgen. Mit ihm kommt das Elend. Das Elend ist ein graues Knäuel, das mich von innen her frisst. Ich kann ihm nicht entkommen. Es wohnt in mir. Nachts rollt es sich zusammen und gibt Ruhe.
Ich träume. Ich laufe eine Strasse entlang. Neben mir läuft eine Frau. Ich kann ihr Gesicht nicht sehen, aber das brauche ich auch nicht. Ich weiß, sie ist da. Sie wird immer da sein. Ich kann sie spüren. Ich bin in ihrer Wärme. Ich bin in ihr.
Ich schlage die Augen auf. Strecke die Hand aus. Neben mir auf dem Kissen. Das Elend ist schon da. Es schnurrt. Ihm geht es gut. Es lebt von mir. Wird fett. Jeden Tag ein bisschen mehr. Als Satz heißt das: Birgit hat mich verlassen.
Ich kann meine Füße zwingen, sich seitlich aus dem Bett zu schieben. Mein Gehirn hat eine Befehlsfunktion. Sie presst meinen Körper in die Senkrechte. So sitze ich. Meine Beine baumeln über den Rand vom Hochbett. Ich denke, dass es schön aussehen muss. Ich denke, wie Birgit mich jetzt anlachen würde. Sie steht unten und spielt mit meinem linken Zeh. Dem großen. Kein Mensch weiß, was ihr an meinem Zeh gefällt. Doch Birgit ist so. Sie erklärt nichts. Sie liebt einfach. Sie hört nicht plötzlich auf damit. Dachte ich. Sie hat sich für den linken Zeh entschieden. Der rechte hatte keine Chance. Sie hatte sich für mich entschieden. Kay hatte keine Chance. Dachte ich. Ich sehe nach unten. Da ist kein Gesicht. Da sind nur zwei Füße ohne Lachen.
Es gibt etwas, das sich von mir löst. Vielleicht ist es ein Schatten. Er klettert die Leiter hinunter und verschwindet im Bad. Er geht auf die Straße. Zur Arbeit. An einem unsichtbaren Band schleppt er mich hinter sich her. Doch meine Zehen bleiben zu Hause. Da merke ich, dass das Band ich bin. Mit jedem Schritt, den mein Schatten tut, ziehe ich mich in die Länge. Mein Mund klebt schief neben den Lippen von meinem Schatten. Kreuz und quer fliege ich durch die Stadt. Manchmal macht mein Weg eine Schleife. Dann treffe ich mich. Ich mache einen Knoten in mich hinein und fliege weiter. Meine Augen sehen. Sie haben sich von meinem Herzen gelöst und zischen hin und her. Sie sind neugierige Mücken, die in der Luft tanzen und Bilder sammeln. Für die Träume in der Nacht."
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